Petra Urban (2001)

 

Petra Urban (Wunsiedler Wasserspiele 2001)

BEGEGNUNG AM WASSER – oder der Beginn einer wunderbaren Freundschaft…

Es war nicht unser erster Treffen. Sie war mir bereits während des Studiums aufgefallen, diese Rheintochter, diese streitbare. Wegen ihres ganzheitlichen Denkens.
Visionär für ihre Zeit, revolutionär für sie als Frau und geboren hinter Mauern. Hinter Klostermauern. Was sie geschrieben hat, über Mensch und Natur, klingt mittelalterlich und modern zugleich. Mutig zudem. Schließlich war sie Nonne, genau gesagt Äbtissin. Und in dieser Position erhebt sie ihre Stimme für die Elemente, klagt und schimpft über Verschmutzung, schreit nach Gerechtigkeit. Alles Lebendige liegt ihr am Herzen. Und nicht nur das. Es spricht zu ihr. Geheimnisvoll und göttlich. Und sie gibt es weiter, posaunt es aus, wie sie sagt, in machtvoller, poetischer Sprache.

Den Zufall hätte sie wohl nicht akzeptiert. Fügung, wäre ihr Wort gewesen. Ich nenne es schlicht eine zweite Begegnung…
Die Liebe hatte mich nach Bingen geführt. Dorthin also, wo Rhein und Nahe zusammenfließen und wo sie gelebt und gewirkt hat, vor nunmehr 900 Jahren, und irgendwie immer noch wirkt. Hildegard von Bingen (1098-1179). Die Heilige, die keine Heilige ist. Nur Volksheilige. Zum Ärger vieler. Der Prozess zur Heiligsprechung versandete, ihre Stimme nicht. Sie scheint im Rauschen des Wassers fortzuklingen. Verkündet unermüdlich die Botschaft von der bewegenden Kraft in allem Sein. Die Botschaft göttlicher Präsenz.

Wasser war ihr wichtig. Sie entdeckte es in jeder Kreatur, machte es verantwortlich für alle Lebendigkeit. Auch in der unbeweglichen Schöpfung, im Stein zum Beispiel. Fünfzehn Kräfte schrieb sie dem feuchten Element zu. Und dass es dem Leib und der Seele gleichermaßen wohl tut, wusste sie auch. Lange bevor es berühmte Bäder gab.

Als Heilmittel vom Himmel war es ihr mehr als recht. Nicht nur zum Trinken, auch zur äußerlichen Anwendung. So empfahl sie dem Sehschwachen – und würde es heute vielleicht auch Menschen wie mir empfehlen, die gar zu ausgiebig auf den Bildschirm eines Computers starren – die Begegnung mit Wasser. Warum? Damit die ausgetrockneten Augen die Feuchtigkeit neu auffangen und wieder klar werden können. Und dem Schwermütigen, der sich wenig lebendig fühlt und keine Frucht bringt – was auf Schriftsteller gelegentlich auch zutrifft -, rät sie, Tränen zu vergießen. Auch dieses Wasser gilt ihr als Geschenk des Himmels. Und als solches erquickt es den Menschen, macht sein hartes Herz wieder weich und ruft den Heiligen Geist herbei.

Geistvoll war sie, zweifelsohne, tiefgläubig und ganz und gar sprachgewaltig. Davon kündet der Wassermund, mit dem sie noch heute so lockend flüstert, und ihre Schriften. Gewaltige Wortströme. Ozeane geradezu. In Tropfenform klingt es daraus so:
„Die Seele ist wie ein Wind, der über die Kräuter weht, und wie ein Tau, der auf die Gräser träufelt, und wie die Regenluft, die wachsen macht. Genau so ströme der Mensch sein Wohlwollen aus auf alle, die da Sehnsucht tragen. Ein Wind sei er, indem er den Elenden hilft, ein Tau, indem er die Verlassenen tröstet und Regenluft, indem er die Ermatteten aufrichtet …“
Die Begegnung mit ihr hat mich durchfeuchtet, wie sie es nennen würde. Hat Spuren hinterlassen. Fast bin ich geneigt, sie als Freundin zu bezeichnen. Als guten Geist. Wassergeist.

 

 

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